Wein, Stolz und Wandel: Moldawiens Hauptstadt Chișinău im Fokus
Wer heute erzählt, dass er aus der Republik Moldau stammt, wird nicht mehr fragend angeschaut. Stattdessen erntet man ein wissendes Lächeln – begleitet von einem anerkennenden „Ah, diese Weine... Ah, diese gigantischen Kelleranlagen...“.
In nur wenigen Jahren hat sich Moldau aus dem Schatten heraus in den Mittelpunkt der internationalen Weinszene geschoben. Ein Land, das einst als kaum wahrnehmbarer Punkt auf Europas Karte galt, wird heute von Spitzen-Sommeliers bewundert. Den Anstoß für diesen Wandel gab paradoxerweise ein Handelsboykott aus Russland – eine politisch motivierte Strafe für Moldaus europäische Ambitionen. Damals verspottete der russische Gesundheitschef moldauischen Wein als „gut genug für Gartenzaunfarbe“. Zu jener Zeit gingen neun von zehn Flaschen in den russischen Markt.
Doch was als wirtschaftlicher Schlag gedacht war, entpuppte sich als Katalysator. Die Europäische Union reagierte schnell, öffnete ihren Markt für moldauischen Qualitätswein – und die Produzenten aus dem kleinen Land begannen, in neue Technologien und Märkte zu investieren. Heute spielt Russland im Exportgeschäft kaum noch eine Rolle. Stattdessen feiert Moldau seine neu gewonnene Unabhängigkeit – mit Stil, Geschmack und Substanz.
Wein mit Herkunft – und Herz
Hinter Moldaus Weinwunder stehen keine Großkonzerne, sondern Menschen mit rauen Händen und wachem Blick – Menschen, die Weinbau nicht als Geschäft, sondern als Erbe und Berufung leben. Jeder Tropfen ist das Ergebnis von harter Arbeit, von Tradition und Hingabe.
Vor allem auf dem Land wird Wein wie ein kostbares Gut behandelt, das über Generationen weitergegeben wird. Die Rebhänge im Süden – besonders die Gegend rund um das historische „Valul lui Traian“ – schenken Trauben, die durch ihr Aromaprofil weltweit einzigartig sind.
Aus dieser regionalen Identität wurde ein internationales Aushängeschild. Moldawische Weine sammeln bei internationalen Wettbewerben Medaille um Medaille. Über 7.000 Auszeichnungen zeugen davon, dass Moldaus Reben Geschichten erzählen – von Erde, Menschen und einem tief verwurzelten Stolz.
Ein Land mit Weinen, die überraschen
So machte sich Moldau in der Welt einen Namen. Nicht nur mit autochthonen Sorten wie Fetească Neagră oder Rara Neagră, sondern auch mit Prestigeprojekten wie dem Fautor Negre 2017 – ausgezeichnet als bester Rotwein der Welt beim Concours Mondial de Bruxelles.
Die Fachpresse reagierte begeistert: Das britische Magazin Decanter sprach von „einem Land mit unerwartet großartigen Weinen“. Auf den Messen in Paris oder London staunen Profis über das sensorische Spektrum, das aus einem Land stammt, das viele zuvor kaum auf dem Radar hatten.
Der Weltkongress kommt nach Chișinău
Ein Meilenstein für Moldaus Weinwirtschaft: Zum ersten Mal findet der OIV-Weltkongress für Rebe und Wein in Chișinău statt – über 500 Experten aus mehr als 50 Ländern nehmen teil. Eine Bühne, auf der Moldau nicht nur Gastgeber ist, sondern auch Botschafter für Qualität, Innovation und Herzlichkeit.
„Für uns ist es eine Ehre, den Titel als weltweite Weinhauptstadt in dieser Woche tragen zu dürfen“, sagte Landwirtschaftsministerin Ludmila Catlabuga bei der Eröffnung. Präsidentin Maia Sandu erinnerte an ihre Kindheit, in der Wein kein Produkt, sondern Teil des Familienalltags war: „Die Rebe erzählt unsere Geschichte – von Widerstand, von Zusammenhalt, von Kultur. Diese Geschichte geben wir nun weiter – in jeder Flasche.“
Wenn Krisen Chancen bringen
Laut John Barker, dem Generaldirektor der OIV, steckt die globale Weinwirtschaft in einer schwierigen Phase – sinkende Nachfrage, schwindende Produktion. Moldau jedoch sei ein Beispiel, wie man Krisen in Entwicklung verwandeln könne. „Dieses Land hat sich neu definiert – und damit anderen gezeigt, was alles möglich ist.“
Mit einer Rebenfläche von vier Hektar pro 100 Einwohner ist Moldau ein globaler Spitzenreiter. Wein ist hier nicht nur ein Wirtschaftsfaktor, sondern ein Teil der DNA. Orte wie Cricova oder Mileștii Mici sind mehr als nur Weinkeller – sie sind unterirdische Städte mit dutzenden Kilometern an Gängen, in denen Schätze lagern, die Generationen überdauern.
Wo jede Rebe zählt
Im Rahmen des Kongresses lud das Nationale Weinamt (ONVV) Delegationen aus aller Welt zu Besichtigungen führender Weingüter ein. Besonders im Fokus: das legendäre Gut Purcari.
Isidor Balan, der Betriebsleiter, erklärte, wie moderne Technik heute hilft, Arbeitskräfte zu kompensieren – und wie man trotzdem jeder Rebe mit Respekt begegnet. Purcari bewirtschaftet 300–350 Hektar mit einer Vielfalt an Sorten – sowohl einheimischen als auch internationalen. Die Ergebnisse sprechen für sich: Hunderte von Preisen, darunter der Titel als „meistprämierte Kellerei der Welt“ im Jahr 2021.
Was macht moldauischen Wein so besonders? Balan bringt es auf den Punkt: „Klar, das Klima ist gut, die Böden hervorragend. Aber der entscheidende Faktor ist das Herzblut der Menschen, die diesen Wein mit Stolz und Sorgfalt erzeugen. Bei uns verlässt nichts das Haus, das nicht für Exzellenz steht.“
Charakterweine mit Identität
Bei den Verkostungen zeigten sich viele internationale Gäste beeindruckt – nicht nur vom Wein, sondern vom Erlebnis drumherum. Riesige Edelstahlbehälter, sorgfältig gepflegte Vinotheken und traditionelle Speisen vermittelten ein Gesamtbild, das Genuss und Kultur vereint.
Neslihan Ivit von der OIV zeigte sich gerührt: „Ich wusste, dass hier großartige Arbeit geleistet wird. Aber erst vor Ort habe ich verstanden, wie viel Leidenschaft darin steckt. Die Sorten Viorica und Rara Neagră waren für mich echte Entdeckungen – unverwechselbar, lebendig, authentisch.“
Auch der ungarische Winzer Barnabas Kovacs, selbst Berater für nachhaltige Anbaupraktiken, war begeistert: „Viorica hat mich am meisten beeindruckt – eine klimafreundliche Sorte mit Frische und Charakter. Auch Fetească Neagră und Fetească Albă zeigen in Moldau ein ganz eigenes, besonders ausdrucksstarkes Profil.“
Ein ganzes Land in einer Flasche
Moldau erzählt seine Geschichte heute in flüssiger Form. Jede Flasche ist ein Fenster in die Seele eines kleinen, aber stolzen Landes – mit großen Weinbergen und noch größeren Herzen. Wer Moldaus Wein kostet, schmeckt mehr als nur Alkohol – er schmeckt die Geschichte eines Volkes, das aus Widrigkeiten Stärke gemacht hat.
Seit 2001 ist Moldau Mitglied der OIV – als erstes Land des ehemaligen Ostblocks. Die Wahl als Gastgeber des Weltkongresses ist nicht nur Anerkennung, sondern auch Einladung: Moldau ist bereit, sich der Welt zu öffnen – Flasche für Flasche.
Der Abschluss der Kongresswoche? Eine festliche Gala in Cricova – dem Symbol für moldauische Weintradition schlechthin. Eine perfekte Kulisse für ein Land, das seine Zukunft mit Geschmack, Stolz und einem Hauch Magie gestaltet.